Gentrification

Mit Zen­tri­fizierung beze­ich­net man zunächst das städte­bauliche und stadt­soziale Phänomen, welch­es in den meis­ten großen amerikanis­chen Städten in Rein­form auftritt: im Stadtk­ern Dien­stleis­tun­gen, in erster Lin­ie Finanz­di­en­stleis­tun­gen, (weil die sich die höheren Grund­stück­spreise leis­ten kön­nen, Pres­tige, zen­trale Lage), daherum der Gewer­begür­tel und  um den herum die Wohn­stät­ten der einkom­menss­chwachen Arbeit­er in Miet­shäusern und um die herum der aus­gedehnte Wohngür­tel der mit­telmäßig und gutver­di­enen­den Schicht­en in den end­losen Ein­fam­i­lien­haussied­lun­gen mit mehr Grün und besser­er Luft.
Ein Foto von Los Ange­les aus der Luft zeigt her­vor­ra­gend die Abfolge der Zonen:

Die Städte Amerikas haben sich recht bald auf diese Weise  entwick­elt, sodass Ver­drän­gung in erster Lin­ie dann auf­trat,  wenn sich die jew­eili­gen Ringe von innen nach außen ver­größerten – also das Zen­trum sich ver­größerte, nach außen natür­lich, – wohin soll es sich denn son­st ver­größern – und die Ringe entsprechend. Wach­s­tum ist bei dieser Geome­trie qua­si unumgänglich mit Ver­drän­gung ver­bun­den. Dieses städte­bauliche Phänomen (die Zen­tri­fizierung) gilt zurecht als Folge des kap­i­tal­is­tis­chen Eigen­tum­sprinzips – Eigen­tum­srechts.  Das Wach­s­tum ein­er Stadt aber so zu steuern, daß keine Ver­drän­gung auftritt, hat bis jet­zt noch keine Kul­tur geschafft, in der es wach­sende Städte gab.

Die städte­bauliche Gestalt der amerikanis­chen Großstädte ist die gewaltig­ste bauliche und soziale Kristalli­sa­tion ein­er sym­bol­is­chen Form, der des Rechts, in der gesamten Zivil­i­sa­tion­s­geschichte der Men­schheit. Das ist unge­heuer­lich in des Wortes zwiespältiger Wer­tung. Der Begriff ist also Kap­i­tal­is­mus kri­tisch, wobei es flächens­paren­der als down­town nicht geht – unbe­dachte Ver­siegelung ist da  mal kein Prob­lem.
In Berlin kann man sich stre­it­en, wie viel down­town es denn nun hat – das Zen­trum zumin­d­est war und ist der staatlichen Admin­is­tra­tion und der Kul­tur vor­be­hal­ten. Dann kamen sofort Indus­trie-Gebi­ete, grup­piert um die Häfen – Berlin war Haupt­stadt und Indus­tri­es­tadt und größter Bin­nen­hafen Europas. Die kon­ti­nen­taleu­ropäis­che Indus­trie wollte die Arbeit­er lieber nahe dabei haben, sodass Kreuzberg eines der extrem­sten Beispiele für die Mis­chung von Wohnen und Gewerbe ist. Das Wohnen der Reichen ( in der Wach­s­tum­sphase) bre­it­ete sich west­lich aus, wegen der besseren Luft.
Dann ist Berlin wie keine andere Stadt der Welt vom Sozial­is­mus u n d kaltem Krieg geprägt. Im Osten wurde gemäß eines über­ge­ord­neten Planes (oder ein­er Planu­topie) Wohnen und Einkaufen arbeit­snah und Arbeit ressourcennah gestal­tet – ratio­nal und raster­mäßig – wo es eben ging. In Marzahn und Hellers­dorf scheint das nicht richtig geklappt zu haben, außer­dem war die Mobil­ität sehr zäh­flüs­sig – man musste sehr lange auf eine Woh­nung warten. Im West­en !schrumpfte! die Indus­trie gewaltig, die Wirtschaft wurde mas­siv mit öffentlichen Mit­teln unter­stützt und der Woh­nungs­bau richtete sich ganz fatal­prag­ma­tisch nach freige­bombten Flächen.
Dann, 2–3 Jahrzehnte vor dem Fall der Mauer, geschah wieder etwas Ein­ma­liges: gewaltige Sum­men öffentlich­er Förderung flossen in die Instand­set­zung und Mod­ernisierung des west­ber­lin­er grün­derzeitlichen Alt­baus. Als ich nach Berlin kam, hat­ten die meis­ten Häuser in Kreuzberg noch Podest­toi­let­ten und Ofen­heizung. Man sollte nicht vergessen, mit welch gigan­tis­ch­er finanzieller !öffentlich­er! Hil­fe die Wohn­si­t­u­a­tion (und übri­gens auch die Gewerbe­si­t­u­a­tion!)  in den grün­derzeitlichen Wohn- und Gewer­be­quartieren qual­i­fiziert wurde? Ohne diese Mit­tel wären die Vier­tel jet­zt nicht so attraktiv.

Nach dem Fall der Mauer schwappte ein erkleck­lich­er Teil dieser Förderun­gen auch noch nach Pren­zlauer Berg und Friedrichshain. Dass man den Alt­bau wertschätzte, dass er nicht mehr abgeris­sen wer­den sollte, dass man keine Retorten­städte wie Gropiusstadt oder Märkisches Vier­tel mehr wollte, dass musste poli­tisch richtig erkämpft wer­den, das gehört zu den Errun­gen­schaften der 68er – so hab ich es jeden­falls erlebt.
Faz­it bis hier­her: wenn man von Berlin eine Grafik anfer­ti­gen würde (gibt es vielle­icht irgend­wo) wie die ver­link­te oben, dann ergäbe sie  ein buntes, fast chao­tis­ches Mosaik mit noch ein paar mehr Far­ben.
Nix mit Zentrifizierung!

Warum  (https://de.wikipedia.org/wiki/Gentrifizierung) in Eng­land nun aus Zen­tri­fi­ca­tion Gen­tri­fi­ca­tion gemacht wurde…, – vielle­icht ist die Mit­telschicht aus der Sicht  der Arbeit­er adelig (Gen­try == nieder­er Adel), vielle­icht haben die Englän­der auch ein­fach noch mehr mit dem Adel zu tun, zumin­d­est aber sind die Städte in Eng­land auch nicht konzen­trisch geschichtet, – da bleibt eben nur Gen­tri­fi­ca­tion, wenn einem dis­place­ment zu harm­los klingt. In Berlin sind es wed­er Adelige oder Finanzkap­i­tal­is­ten noch konzen­trische Prozesse son­dern höchst wahrschein­lich auch Angestellte des öffentlichen Dien­stes, die in öffentlich geförderten mod­er­nen Alt­bau­wohnu­gen einge­sessene Bewohn­er ver­drän­gen, wenn die ver­traglich mit den Eigen­tümern vere­in­barte Miet­bindung aus­läuft und die ort­sübliche Ver­gle­ichsmi­ete greift. Ich will damit nicht Angestellte des öffentlichen Dien­stes kri­tisieren, son­dern die gestelzte B e r l i n e r   K a p i t a l i s m u s k r i t i k. Kein ander­er Begriff ist für diesen Prozess deut­lich­er  als das schlichte, schnöde Wort Ver­drän­gung. Was für ein Lebens­stan­dard ist denn akzep­tiert, wenn man den Mit­tel­stand als adelig beze­ich­net?!
Wir haben  eine Ver­drän­gung durch eine Alt­bau-Hype, durch noch ein­mal gesteigerte Wertschätzung der Alt­bauquartiere und durch geringe Attrak­tiv­ität möglich­er Alter­na­tiv­en wie den monot­o­nen Stad­trandge­bi­eten, den monot­o­nen Plat­ten­bausied­lun­gen, den kleinkari­erten 20er-Jahre-Sied­lun­gen. Wir haben bald 70 Jahre Frieden, die Ansprüche ans Wohnen steigen in allen Schicht­en (zum Glück), dem wird der Nachkriegswoh­nungs­bau nicht gerecht, wed­er der nach 45 noch der nach 18. Der Woh­nungs­bau vor 14 zeigt noch nicht die Ein­bußen zweier Kriege, des Faschis­mus, des Sozial­is­mus, des kalten Krieges und sein Moder­nitäts­de­fiz­it und die ehe­mals zu hohe Dichte ist behoben, selb­st in der damals bil­lig­sten Aus­führung ist er heute hoch attrak­tiv!!!!! Das Ide­al der Car­ta von Athen „Licht, Luft und Grün“ (dazu noch am Stad­trand wie in Ameri­ka) schwächelt hierzu­lande  im Augen­blick – im Augen­blick! Das kann sich aber wieder ändern. Hypes sind sehr unberechen­bar.
Auf welche Weise nun soll in ein­er Stadt wie Berlin, die ihre Rhi­zome endlich wieder nach Bran­den­burg, Deutsch­land und Europa aus­bre­it­et, Aufw­er­tung kanal­isiert wer­den?
Abhil­fe gegen die Ver­drän­gung bietet  sich­er ein Niedrighal­ten der Ver­gle­ichsmi­ete und attrak­tiv­er verdichteter Woh­nungsneubau mit kom­plet­ter Infra­struk­tur (in allen Kat­e­gorien) außer­halb der betrof­fe­nen Quartiere, (z.B. auf Brachen).

Was bis jet­zt vom Flughafen Tem­pel­hof zu hören und zu sehen war, kann wohl nie­man­den vom Pren­zlauer Berg weglock­en; niedrige  Mieten bei hoher Qual­ität (im europäis­chen Durch­schnitt) lassen die alten Vier­tel auch für höhere Einkom­men weit­er­hin attrak­tiv bleiben, die Ver­drän­gung würde nur ver­langsamt. Das ist das größte Prob­lem, dass der  mod­erne Woh­nungs­bau teuer ist aber nicht begeis­tert. Eine Auf­gabe für Kreative.
Planer­isches Mot­to: „die Ver­dränger weglock­en„
Auf indi­vidu­eller Ebene: Wohnge­mein­schaften bilden, Haus­ge­mein­schaften, die Stadt­teil­lä­den reak­tivieren, gemein­sames oder genossen­schaftlich­es anteiliges Eigen­tum an Woh­nun­gen und Häusern erwer­ben oder dauer­hafte Nutzungsrechte. Das Wie, Wann und Wo in den Stadt­teil­lä­den koor­dinieren, Hil­fen, Förderun­gen ermit­teln. In den betrof­fe­nen Gebi­eten ist es dafür vielle­icht zu spät, nicht aber Berlin weit. Allerd­ings haben sehr viele Mieter die Chan­cen in der Ver­gan­gen­heit genutzt und wohnen jezt genossen­schaftlich und betreiben auch Gewerbe genossen­schaftlich. Genossen­schaften sind sehr sta­bil. Viele find­en die Regeln aber zu einen­gend, man muss sich eben entschei­den, ob man wirk­lich die durchgeregelte Kon­stanz will, oder aber dann nicht doch vielle­icht mal in ein anderes Vier­tel ziehen will, mit jeman­dem zusam­men oder näher zur Arbeit etc. Das wird einem klar, wenn man sich an die organ­isatorischen Mühen gemein­samen Eigen­tums oder gemein­samer Nutzungsrechte her­an macht.


▬ 1 year ago atza­cke respond­ed: damals noch auf Posterous)

Ja, Berlin ist schon ein­ma­lig in sein­er stadt­geschichtlichen Entwick­lung. Zunächst ist Berlin allerd­ings noch in halb­wegs knozen­trischen Kreisen um die Spreein­sel gewach­sen, bis es an immer mehr Eck­en an bere­its existierende kleine Kerne angren­zen­der Dör­fer und Städ­chen gestoßen ist.

Die bei­den Hauptzen­tren, Ku’­Damm und Alex, entwick­el­ten sich ja erst während der Teilung.

Aber wem gilt hier der Vor­wurf der gestelzten Kap­i­tal­is­muskri­tik? Doch sicher­lich der Min­der­heit der Berlin­er. In Berlin ist man es vielle­icht zu sehr gewohnt, einen Son­der­sta­tus zu haben. Man hat sich gemütlich in der ehe­ma­li­gen Insel­lage ein­gerichtet und staunt nun, dass von außen neues auf diese ehe­ma­lige Welt­metro­pole ein­strömt. Man kann den Zus­trom an wohlhaben­deren Mit­tel­ständlern ja auch als Chance für neues sehen. Gesteigerte Kaufkraft, vollere Stadtkassen, die Chance, das sehr wichtige The­ma der Seg­re­ga­tion anzugehen.

Ich ver­ste­he nicht ganz, wie und vor allem wem über­haupt man genossen­schaftlich begeg­nen soll?

Oder stellt die Genossen­schaft hier die Chance dar, dort wohnen zu bleiben, wo anson­sten die Mieten im Steigen begrif­f­en sind?

about 1 year ago Rüdi­ger F respond­ed:
Für die Linke in Berlin ist das ein wichtiges The­ma und im Inter­net gibt es dazu eine große Diskus­sion, die mich ärg­erte aus dem Grund, dass m.E. nicht ein­fach­er und angemessen­er von Ver­drän­gung gesprochen wird, konkreter auf die spez­i­fis­che Berlin-Sit­u­a­tion bezo­gen, die im glob­alen Ver­gle­ich alles andere als man­ches­terkap­i­tal­is­tisch ist, wozu dann natür­lich der Begriff der Gen­tri­fizierung bess­er passen würde, der die Urge­walt des Kap­i­tal­is­mus zum Aus­druck bringt.
Aber Ver­drän­gung gibt es natür­lich – aus­gerech­net in den Bezirken mit hohem Anteil an Ger­ingver­di­enern, in die die öffentlich Mit­tel ja voral­lendin­gen als Hil­fe für eben jene Ger­ingver­di­ener gepumpt wur­den, die nun doch (15 Jahre später, auf Grund der Förderungsvere­in­barung mit den Hau­seigen­tümern, die Miete solange niedrig zu hal­ten) dem gel­tenden Miet­spiegel entsprechend Miete zahlen müssen.
Wenn der Ver­mi­eter in Eigen­tumswoh­nun­gen umwan­deln will, braucht man schon ein dick­es Fell, und rechtl. Unter­stützung und muss natür­lich seine Miete regelmäßig bezahlen.
Genossen­schaften sind nicht verkäu­flich und wirtschaften nach dem Kos­ten­deck­ung­sprinzip, machen also keine Gewinne für Pri­va­tent­nah­men.
Man hat sehr wohl die Möglichkeit, im Laufe seines Lebens in Wohn­ver­hält­nisse zu wech­seln, die geringe Miet­steigerun­gen garantieren, wenn man darauf Wert legt, aber Jugendliche schw­er­lich, zudem noch so, dass sie in den h i p p e n Vierteln bleiben kön­nen.
Als Stu­den­ten sind wir damals in die Ofen­heizungswoh­nun­gen mit Aussen­toi­let­ten gezo­gen mit bil­li­gen Mieten, die Raum ließen für anderen Kon­sum und Boheme-Stil, und wenn wir woll­ten, kon­nten wir als West­ler rüber in den Ost­teil der Stadt und eine Kul­tur­dif­ferenz erleben, wie wahrschein­lich so nie wieder irgend­wo auf der Welt, dabei selb­st auf der glück­lichen Seite. Heute sind die Plat­ten­baut­en mod­ernisiert mit entsprechen­den Mieten (eben­falls gefördert für Ger­ingver­di­ener) und vom Sozial­is­mus sind nur die lan­gen Anstalts­flure zu den Woh­nun­gen hin geblieben, nichts mit Boheme.
Die Mono­funk­tion­al­ität der Plat­ten­baus­tadt­teile (Plattenbau-„quartiere“ ist zu klein gegrif­f­en) ist der größte städte­bauliche Fehler der je gemacht wurde und vol­lkom­men sozial­is­tisch! Deswe­gen will nie­mand aus den dicht­en, gemis­cht­en, unheim­lich lebendi­gen Stadt­teilen weg, voral­lendin­gen die nicht , die sie ja bewußt als Leben­sort gewählt hat­ten. Und in ein­er 3,5 Mil­lio­nen-Stadt wie Berlin mit der­ar­tig riesi­gen mono­funk­tionalen Bebau­un­gen ist der Druck auf solche Stadt­teile natür­lich beson­ders groß! Kap­i­tal­is­tis­che Gen­tri­fizierung – w i e schief!!!!!

Das Inter­net macht fol­gen­des sicht­bar: ein geringes his­torisches Bewusst­sein, viel Sys­temkri­tik, 5% kon­struk­tive Strate­gien (geschweige denn langfristige), die eigene Lebenssi­t­u­a­tion wird ver­ab­so­lu­tiert – man ver­gle­icht nicht mit anderen Län­dern, man ist gerne neg­a­tiv und glaubt an einen Feind. Das macht einen ganz kirre, wenn man surft. Nicht nur bei diesem The­ma, und ich mußte ein The­ma mal klärend durchge­hen, eswe­gen der post.